INHALT
Nach 15 Jahren kommt die erschöpft und verhärmt wirkende Ärztin Juliette (Kristin Scott Thomas) aus dem Gefängnis frei. Ihre jüngere Schwester Léa (Elsa Zylberstein), die auf Druck der Eltern den Kontakt abgebrochen hatte, nimmt sie ohne große Umstände bei sich auf. Léas Familie mit den beiden Adoptivkindern und dem stummen Großvater, der seine Zeit mit Lesen verbringt, ist ein steter Wärmequell für die vorsichtig ins Leben zurückkehrende Juliette. Nur Léas Ehemann Luc (Serge Hazanavicius) ist zunächst sehr besorgt. Warum, erfährt der Zuschauer erst während Juliettes erster Bewerbung um einen Job: Als sie einem potenziellen Arbeitgeber gesteht, sie habe ihren sechsjährigen Sohn umgebracht, wirft er die Kindsmörderin entsetzt hinaus.
Das Motiv für diesen Mord kennt aber nicht einmal ihre eigene Schwester. Nach und nach erst nähern sich die einst Unzertrennlichen wieder einander an. Bedrückt nimmt die Ältere dabei wahr, wie ihre Tat auch das ganze Leben der jüngeren Léa nachhaltig geprägt hat. Als Juliette einen Job als Sekretärin im Krankenhaus erhält, sucht sie sich eine eigene Wohnung. Im Café, bei Ausflügen und durch Freunde findet sie langsam in den Alltag zurück. Doch erst nachdem Léa durch Zufall der Wahrheit auf die Spur kommt, wird ihr das Ausmaß der Tragödie klar, die ihre Schwester durchlebt.
Philippe Claudel inszenierte dieses minimalistische Psychodrama nach eigenem Drehbuch und verlegte die Handlung in seinen Wohnort, die Provinzstadt Nancy. Mit seinem meisterlichen Debüt gelang dem Schriftsteller ein beispielhafter Schauspieler-Film: Kristin Scott Thomas’ sensationeller Auftritt, für den sie mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, zeigt sie als eine der besten Akteurinnen unserer Zeit. In vielen Nahaufnahmen wechselt sie zwischen stiller, aber nie Mitleid heischender Gequältheit, plötzlicher Gereiztheit und schroffer Distanz. Welch ein Ereignis, als sich auf die Lippen dieses trauernden Todesengels erstmals ein Lächeln schleicht! Aus dem schillernden Rätsel, das diese ungewöhnliche Frau umgibt, schöpft der Film eine Kraft, die man im Kino selten erlebt.